Schulöffnungen in Zeiten von Corona – der Versuch einer emanzipatorischen Analyse

Am 15. April haben die Kultusminister*innen der 16 Bundesländer getagt, um den weiteren Umgang mit der Corona-Krise zu besprechen. Neben einigen Lockerungen wurden unter anderem auch die Öffnungen der Schulen in Deutschland ab spätestens dem 04. Mai beschlossen, obwohl andere Länder die Schließung ihrer Bildungseinrichtungen noch verlängert haben. Für uns steht allerdings fest: Das ist unverantwortlich! Im Folgenden wollen wir darlegen, welche Konsequenzen man aus diesem Beschluss ziehen kann, auch was die Einordnung der abzulegenden Abschlussprüfungen betrifft.
Klar ist, dass die nötigen Hygienemaßnahmen innerhalb der nächsten zwei Wochen nicht ausreichend umgesetzt werden können. Ein Grund dafür ist, dass die Schulen jahrzehntelang kaputt gespart wurden. Die Folgen sehen wir jetzt: Zu viele Schüler*innen auf zu engem Raum und Mängel in der Austattung was Waschbecken etc. betrifft. Außerdem sind rund 25% des Lehrpersonals in einem Alter, in dem sie selbst der Risikogruppe angehören und somit ihr Kontakt mit Schüler*innen äußerst gesundheitsgefährdend ist. Es bleiben viele Fragen offen, die von ‘Wie sollen Kurse von 30 Mitgliedern unterrichtet werden?’ bis hin zu  ‘Wie komme ich zur Schule, ohne das Risiko eines überfüllten öffentlichen Verkehrsmittels einzugehen?’ gehen. Es liegt auf der Hand, dass das Ansteckungsrisiko innerhalb von Bildungseinrichtungen überproportional hoch ist und somit eine Explosion der Ansteckungszahlen unvermeidbar bleibt. Außer Acht gelassen wird hierbei auch die Gefahr, dass sowohl Schüler*innen als auch Eltern Risikogruppe sein können. Eine Lösung für die dadurch nicht einzuhaltende Schulpflicht oder wie man mit Schüler*innen umgeht, die durch Corona ihre Abschlussprüfungen nicht schreiben können, wurde noch nicht gefunden.  
Das für uns vielleicht zentralste Argument ist jedoch, dass die Entscheidung der Schulöffnungen zeigt, wie wenig Meinungen der Schüler*innen, Eltern, Lehrer*innen und Gewerkschaften zählen, die allesamt über Petitionen, Offene Briefe etc. ihre Meinung gegen Schulöffnungen kundgetan haben. Deutlich wird hierbei, dass für die Politiker*innen hauptsächlich zählt, ihre Macht durchzusetzen und sie keinerlei Interesse dran haben, auf Hinweise der Menschen zu hören, die von den beschlossenen Maßnahmen am meisten betroffen sind. 
Während Freiheiten des Grundgesetzes massiv eingeschränkt werden und es so gut wie unmöglich gemacht wird, seinen politischen Protest im Stadtbild zu äußern, werden die Infektionsgefahren durch die Arbeit und nun auch die Schule in Kauf genommnen. Dies scheint nach dem Motto “Hauptsache die Wirtschaft ist am Laufen” zu geschehen.
Ironischerweise richtet sich die Regierung bei den Lockerungen vor allem nach dem Empfehlungen eines Gremiums der Leopoldina. Diese veröffentlichten 2016 ein Papier, in dem aufgrund von Profitinteressen empfohlen wurde, einen Großteil der bestehenden Krankenhäuser zu schließen. Was dies in in der jetztigen Situation bedeutet hätte, ist wohl für jede*n ersichtlich. Bemerkenswert ist auch die Zusammensetzung des Gremiums, welches aus 2 Frauen und 22 Männern besteht. Die Interessen von FLINT* Personen sind somit deutlich unterrepräsentiert, obwohl sie den Großteil der durch diese Situation aufkommenden Last auffangen müssen. 
Es ist klar, dass die neoliberale Marktlogik gescheitert ist. Aktuell werden riesige Konzerne durch milliardenschwere Subventionen unterstützt. Dies geschient teils auch trotz vorhandener finanzieller Rücklagen. Gleichzeitig werden Milliarden Euro an Aktionär*innen ausgezahlt, während die Löhne in den systemrelevanten Berufen beschämend gering sind und die Mitarbeitenden neben Geldnöten nun auch noch verstärken Gesundheitsrisiken entgegenstehen. Es kann nicht sein, dass während die Risiken und Unsicherheiten für Großverdiener*innen vom Staat abgefangen werden, massenhaft Profite privatisiert werden und diejenigen, die durch soziale Ungleichheiten noch zusätzlich betroffen sind, alleine darstehen.  
Trotz großen Widerstands wurde beschlossen, die Abschlussprüfungen (ob Abitur, mittlere Reife oder GesellInnenprüfungen) stattfinden zu lassen. Diesem Entschluss stellen wir uns klar entgegen! 
Die aktuelle Situation sorgt für eine massive Differenz, was die Chancengleichheit betrifft. Was für die einen entspanntes Lernen zuhause ist, wird für vor allem sowieso schon gesellschaftlich marginalisierte Gruppen zur Qual. Wer sich zu fünft eine Drei-Zimmer-Wohnung ohne Balkon teilen muss, für wen vielleicht noch die Aufgabe der Betreuung von kleineren Geschwistern hinzukommt oder wer einen PC für vier Personen hat, für den oder die besteht keine Chance, sich ausreichend auf die bevorstehenden Klausuren vorzubereiten. Und dabei handelt es sich nicht um Kinder und Familien der oberen sozialen Schichten, um Kinder von Firmenchef*innen oder um Kinder von denjenigen, die heute die Entscheidungen im Umgang mit Corona treffen, sondern um all die Kinder und Familien, dessen Probleme in der Gesellschaft noch nie Gehör fanden. Hinzukommt, dass psychische Belastungen durch die jetzigen Unsicherheiten vermehrt in Depressionen münden oder Angstzustände auslösen, die wieder zu einer Verhinderung von optimaler Vorbereitung führen. Nicht zu vergessen ist außerdem der Anstieg von häuslicher Gewalt. Corona sorgt dafür, dass Themenkomplexe wie Abschlussprüfungen in den Hintergrund rücken, während Probleme wie Gewalt, soziale Ungleichheiten, Überlebenskampf und die Angst um ‘Leib und Leben’ in den Fokus rücken. Wie können da die Abschlusspüfungen einfach so wie geplant stattfinden?!