Rede von der Gedenkdemo am 9.11.2020 in Bielefeld

Im November vor 82 Jahren wurden unter anderem auch hier in Bielefeld Geschäfte geplündert, Synagogen, Schulen und Orte jüdischen Lebens abgebrannt, Jüdinnen und Juden gefoltert und ermordet. Doch die Novemberpogrome markieren erst den Übergang in die existenzielle Vernichtungspolitik des NS-Regimes gegen jüdische Menschen.
Auch 80 Jahre später sind die Strukturen noch nicht aufgebrochen. Wir sehen Reichskriegflaggen am Reichstag, stolz marschierende Neonazis und Attentate auf Synagogen.
Marian Turski, ein Überlebender aus Auschwitz sagte : “Es ist passiert. Das bedeutet, dass es passieren kann. Das bedeutet, dass es überall passieren kann.”
Unsere Trauer am heutigen Tag gilt allen Opfern von damals und heute. Wir gedenken allen, die unter dem NS-Regime verfolgt und ermordet wurden und denken an alle, die heute täglich unter rassistischen Aussagen zu leiden haben, deren Stimmen nicht gehört, die unterdrückt und verfolgt werden. 
Nur weil der Terror des NS Regimes mittlerweile über 70 Jahre her ist, dürfen wir uns nicht von der Verantwortung  befreien. Wir als nächste Genertionen können Geschehenes nicht rückgängig machen, wohl aber dafür einstehen, dass sich die Taten von damals nicht wiederholen!  
Ein wichtiger Bestandteil unseres Gedenkens ist außerdem das Hinterfragen des eigenen Handelns und den eigenen Einstellungen. Auch wir als progressive Linke können uns nicht davon freisprechen, bestimmte Stereotype zu reproduzieren und es muss ein Teil unseres Erinnerns sein, dieses zu hinterfragen, in den Austausch zu gehen und immer weiter zu lernen. 
Wir müssen gedenken und erinnern, wir müssen trauern aber wir müssen auch wütend werden und diese Wut gehört auf die Straßen!
Schon damals waren es nicht nur vereinzelte Täter*innen, die für das Leiden von Millionen von Menschen verantwortlich waren. Es waren Väter, Schwestern, Nachbar*innen oder auch die Ladenbesitzer*innen aus der eigenen Stadt, die den Faschismus stillschweigend hingenommen haben und wegschauten. Auch heute sind in der Gesellschaft noch die Grundsteine dafür gelegt, dass sich rechte Attentate immer und immer wiederholen werden. Es wird verharmlost, runtergespielt, von Einzeltäter*innen gesprochen. Antisemitische, rassistische und antifeministische Ideologien sind nicht vereinzelt wahrzunehmen, sondern bestimmen den Konsens und den Diskurs. Darüber hinaus ist es wichtig, dass wir ein Bewusstsein darüber erlangen, dass die Ideologien sich zwar nicht geändert haben, sich die Geschichte aber nicht eins zu eins wiederholen wird, sondern die heutigen Taten anders aussehen werden als die von damals. Zu erwähnen sind hier unter anderem die Coronaleugner*innen, bei denen schon lange genug klar ist, dass Reichsbürger*innen und rechtesextreme Menschen mit auf die Straßen gehen, die AfD, die beinahe überall im Stadtrat sitzt und auch durch Bielefeld sind jahrelang Nazis marschiert, um der Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck zum Geburtstag zu gratulieren. 
Immer wieder zeigt sich: Im Kampf gegen Faschismus, gegen Antisemitismus und Rassismus ist kein Verlass auf Politiker*innen und Parlamente. Immer wieder zeigen neue Fälle von Racial Profiling, das Auffliegen von rechten Netzwerken, der Umgang mit Menschen an den EU-Außengrenzen und viele weitere Vorfälle, dass der Staat versagt und vergessen hat. Wir dürfen uns nicht auf ihn verlassen. Wir als linke Szene müssen unsere Wut und Trauer zum Ausdruck bringen.Präsenz zeigen, strukturelle Taten benennen und Solidarität leben. Die Überwindung der herrschenden Verhältnisse und ein gutes und schönes Leben für alle wird auf der Straße erkämpft. Wir brauchen ein solidarisches Miteinander, ein Aufzeigen und Lautwerden gegen rassistische Parolen, ein zu seinen Ansichten stehen beim Arbeiten und den Mut zur Diskussion mit Freund*innen und Familie. Tag für Tag müssen wir dafür einstehen, dass nicht immer nur vom Kampf gegen rechtsextreme Kontinuitäten gesprochen wird, sondern dass dieser aktiv geführt wird! 
Das alles wird Schritt für Schritt zu einer Verbesserung der Verhältnisse beitragen. Nur zusammen können wir diese Verhältnisse letztendlich überwinden! Gemeinsam kämpfen gegen Geschichtsrevisionismus und Rechten Terror!